Wer ist Lucas Höler? Außerhalb von Deutschland zucken Fußballfans nur mit den Schultern, wenn sein Name fällt. Der Stürmer des SC Freiburg ist kein Dribbler, kein Schönspieler, kein Goalgetter. Höler arbeitet – und das ziemlich erfolgreich!
Vom Dorfverein zum Bundesligisten
Wie? Da lohnt ein Blick in seine Vergangenheit. Ein Jahrhunderttalent war Höler nie. Er lernte nicht in einem Nachwuchsleistungszentrum. Er ist den harten Weg gegangen. Er ist praktisch das perfekte Beispiel dafür, dass man alles schaffen kann, wenn man genug Arbeit investiert. Sein Debüt im Herrenfußball gab er in der Bremenliga beim Blumenthaler SV, das Profidebüt dann beim VfB Oldenburg in der Regionalliga. Liga für Liga ging es nach oben. Dritte Liga bei Mainz 05 II, dann 2. Liga beim SV Sandhausen. Von dort wechselte er im Januar 2018 zum SC Freiburg in die erste deutsche Bundesliga. Nach ganz oben.
„Die Bundesliga war immer mein Ziel“, sagte Höler beim Wechsel in den Breisgau. Doch damit hörte seine stetige Entwicklung nicht auf. Er arbeitet weiter – jeden Tag auf dem Trainingsplatz und am Wochenende im Stadion. Erst kürzlich schwärmte sein Trainer Christian Streich über ihn: „Er macht viele Wege, die echt weh tun, und hilft uns brutal damit, weil sonst das Mittelfeld Probleme kriegt.“ Doch was bedeutet das genau – womit hilft Höler dem SC Freiburg so sehr?
Eine ungewöhnliche „Nummer Neun“
Lucas Höler ist kein Goalgetter. In vielen Teams sind es die absoluten Stürmer-Stars, die mit der Rückennummer 9 auflaufen. Bayerns Robert Lewandowski erzielte 282 Tore in 353 Bundesligaspielen. Dortmunds Erling Haaland kommt nach 46 Partien bereits auf 43 Tore. Lucas Höler kann nach 110 Spielen nur 18 Tore vorweisen.
Der Vergleich mit den Superstars ist natürlich unfair, aber auch innerhalb des Kaders ist der 27-jährige bisher nicht „der Neuner“. Seine Mittelstürmer-Konkurrenten Nils Petersen (0,5 Tore pro 90min) und Ermedin Demirovic (0,3 Tore pro 90min) sind erfolgreicher als er (0,17 Tore pro 90min). Trotzdem spielt Höler in fast jedem Spiel. Bis auf eine Gelbsperre in der vergangenen Rückrunde hat Höler seit April 2019 kein Pflichtspiel des SC Freiburg verpasst. Dabei hilft auch seine Variabilität. Denn anders als seine MS-Konkurrenten ist Höler vielseitig. Er kann natürlich in der Spitze spielen, aber auch auf beiden Flügeln eingesetzt werden. Vereinzelt sammelte Höler sogar Einsätze im zentralen Mittelfeld. Arbeiten kann man überall.
Der Zweikämpfer aus dem Breisgau
Der 27-jährige Mittelstürmer definiert seine Position anders als seine Kollegen. Petersen ist eher ein Knipser, der im 16er auf den Ball wartet. Demirovic wird gerne mit langen Bällen angespielt, die er festmachen und weiterspielen kann. Höler jedoch bewegt sich gern. Nur Linksverteidiger Christian Günter ist in den ersten drei Spielen der Saison 21/22 mehr gelaufen. Mit über 10km im Schnitt gehört Höler wieder zu den lauffreudigsten Stürmern der Liga.
Diese Läufe macht er nicht sinnlos. In der vergangenen Saison übte Höler 3,84 Mal pro 90min schon im eigenen Spielfelddrittel Druck auf den Gegner aus – Bestwert unter den Mittelstürmern der Bundesliga. Auch wenn er vielleicht insgesamt nicht am meisten Druck ausübt, macht er es sehr effektiv. Mit 30,5% Erfolgsquote bei sogenannten „Pressures“ führte er die Offensivspieler des SC Freiburg an – und auch in der Bundesliga ist er oben dabei.
Doch besonders brilliert Höler in Zweikämpfen. Mit einer Zweikampfquote (am Boden) von 59% erreichte er vergangene Saison den Bestwert unter Offensivspielern der Bundesliga. Auch in der Luft kommt er auf 53% gewonnene Zweikämpfe – beim SC Freiburg ebenfalls offensiver Bestwert.
Lucas Höler ist arbeitsfreudig. Er hat sich aus der Bremenliga nach oben gearbeitet und noch heute arbeitet er für seine Mitspieler – nach hinten zum Schließen von Lücken oder nach vorne, um Druck zu erzeugen und gegnerische Fehler zu erzwingen.
Clevere Offensiv-Power
Auch offensiv ist Lucas Höler wertvoll. Er trifft selbst nicht häufig, aber er macht seinen Mitspielern das Leben leichter. Mit 3,84 progressiven Läufen pro 90min trägt er den Ball nach vorne, sorgt für Entlastung im Spielaufbau und gibt seinen Mitspielern die Möglichkeit, etwas aus dem Angriff zu machen – auch wenn er diesen dann nicht selbst vollendet. Mit 0,91 Torschussvorbereitungen pro 90min kommt er zwar nicht an Freiburgs Top-Vorbereiter Vincenzo Grifo (2,45 Key Passes pro 90min) heran, übertrumpft aber Petersen (0,62 KP/90min), Demirovic (0,78 KP/90min) und sogar Flügelspieler Roland Sallai (0,81 KP/90min).
Ruhende Bälle – Freiburgs Geheimwaffe
Dabei spielt er nicht immer nur einfache Pässe zum Nebenmann. Auch bei den „Shot Creating Actions“, zu denen auch Dribblings oder gezogene Fouls gehören, ist Höler vorne mit dabei. Generell sorgt Höler für sehr viele Standards. Vergangene Saison war Lucas Höler mit 77 Mal der zweitmeistgefoulte Spieler der Bundesliga. Nur Schalkes Amine Harit zog zwei Fouls mehr. Laut dem Kicker war der SC Freiburg in der Saison 20/21 das drittbeste Team bei Standard-Toren. Zu loben sind hier natürlich die Standardschützen Grifo, Günter und Jonathan Schmid – doch Spieler wie Höler setzen sie erst in Szene.
Auch bei den Standards selbst ist Höler effektiv – seine physische Spielweise schafft immer wieder Möglichkeiten des Erfolgs. Er gewinnt Luftzweikämpfe und kann dafür sorgen, dass Gegenspieler ihn besonders decken müssen, was Räume für Mitspieler kreiert.
Höler kann Spiele entscheiden
Lucas Höler ist ein wichtiger Spieler für Christian Streich und den SC Freiburg. Sein Cheftrainer hält große Stücke auf ihn und auch in schlechteren Phasen war Streich immer einer der Ersten, der sich vor Höler stellte. Seine Arbeit macht es dem Team einfacher und hilft dabei, dass das Team als Gesamtgebilde funktioniert. Doch auch Höler selbst kann immer wieder glänzen. So etwa bei seinem Traumtor gegen Gladbach 2018, als er den Ball fast aus dem Mittelkreis im Tor versenkte.
Zuletzt bewies Höler auch anhand von Scorern, dass er ganze Spiele gewinnen kann. Im Februar dribbelte Höler rechts am Strafraum entlang und fand mit einer Traumflanke zentral Demirovic, der zum 1:0 einschieben konnte. Später legte er selbst noch ein eigenes Tor oben drauf. Das Spiel endete 2:1 für den SC Freiburg – dank Höler.
Diese Saison konnte er das noch häufiger zeigen. In 3 Spielen war Höler an zwei Toren direkt beteiligt – jeweils am letzten Tor seiner Mannschaft. Beide Spiele konnte der SC Freiburg mit diesem einen Tor Vorsprung gewinnen. Beim 2:1-Sieg über Dortmund am zweiten Spieltag nutzte er seine Stärke im Luftzweikampf, übersprang den portugiesischen Nationalspieler Raphael Guerreiro und legte für Sallai ab, der das wichtige zweite Tor schoss.
Am dritten Spieltag gegen Stuttgart war es dann wieder Höler, dieses Mal per eigenem Abschluss, der für das entscheidende Tor sorgte. Nach einem starken Lauf in die Schnittstelle zwischen Stuttgarts Innenverteidiger Waldemar Anton und Konstantinos Mavropanos verwertete er Sallais Flanke mit dem Kopf und erzielte das 3:0 – der SC gewann das Spiel später 3:2.
Harte Arbeit zahlt sich aus
Lucas Höler hat es geschafft, sich aus der Jugend eines Dorfvereins Schritt für Schritt – Liga für Liga – in die Bundesliga hochzuarbeiten. In jedem Team fiel er durch sein großes Engagement auf. Hätte er sich an irgendeinem Punkt damit zufrieden gegeben, was er schon erreicht hat, wäre er heute wohl nicht dort, wo er ist. Mit seiner neu gewonnen Gefahr vor dem Tor fügt er seinem Spiel ein weiteres Element hinzu, das ihn noch wichtiger macht. Für Christian Streich ist er ohnehin schon unverzichtbar – einen Spieler wie Höler hat er sonst nicht im Kader. Höler lebt den „Freiburger Traum“. Wer weiß, wo diese Entwicklung bei ihm noch hinführt?
Quelle Titelbild: SC Freiburg
Autor: Nik Staiger (Twitter @Nik_Staiger)
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