Sieg gegen Vizemeister RB Leipzig. Platz 3 in der Bundesliga Tabelle. Halbfinale im DFB-Pokal. Eintracht Frankfurt gilt als Überraschungsmannschaft der Bundesliga-Saison. Doch ist es wirklich so überraschend? Oder einfach die Verwirklichung eines Plans?
Schon länger schreibe ich im Forum von transfermarkt.de darüber, dass es bei Eintracht Frankfurt endlich ein klar erkennbares sportliches Konzept gibt. Zeit, all diese Bausteine aufzuführen. Natürlich mit einem eingeschränkten Blick von außen von jemandem, der Fußball nur auf Amateur-Ebene betrieben hat 🙂
Die Pflicht unter Niko Kovac
Zuerst ein Blick auf das Fundament, auf die Grundlagen der Eintracht in der letzten und dieser Saison.
Defensive Stabilität
Das allererste, was Niko Kovac bei der Amtsübernahme beeinflussen konnte, war die Stabilität in der Defensive. Dort, wo Niederlagen verhindert werden. Die erste wirklich umwälzende Idee dabei war die Wiederentdeckung des Libero. Makoto Hasebe hatte endlich die bestmögliche Rolle gefunden. Zum Thema Defensive hatte ich hier zu Saisonbeginn schon etwas geschrieben.
Einsatz und Leidenschaft
Eine der Grundtugenden, die Niko Kovac seit Anbeginn einfordert, sind körperlicher Einsatz und mentale Leidenschaft. Und das sowohl im Training als auch über die volle Distanz im Spiel. Kein Nachlassen. Niemals. Zu Beginn seiner Zeit als Trainer bei der SGE führte dies zum Image der Tretertruppe – was vor allem daran lag, dass Qualitäten wie Technik und Schnelligkeit noch zu kurz kamen. Allerdings ist die SGE auch aktuell das Schlusslicht der Fairplay-Tabelle. Wobei man sagen muss: Es geht hier nicht um überhartes Einsteigen oder brutale Fouls, sondern man bewegt sich eben öfter an der Grenze des Erlaubten. Englischer Stil eher, der in Deutschland auch schon mal geahndet wird. Oder – wie die gelbe Karte gegen Hasebe zuletzt – eher zu Unrecht.
Mannschaftliche Geschlossenheit
Die dritte Komponente ist die Kompaktheit, in der die Mannschaft spielerisch agiert und die sie auch in jeder Hinsicht leben muss. Der Teamgedanke. The Mannschaft. Team first, alles andere second. Jeder arbeitet für den Erfolg, muss sich komplett in diesen Dienst stellen. Wer dies nicht tut, hat unter diesem Trainer keine Chance – da ist er absolut klar. Wenn ein Spieler wie Taleb Tawatha in der Öffentlichkeit meckert, ist das keine gute Idee.
Körperliche Fitness
Standbein Nummer 4 ist die körperliche Fitness. Vermutlich ist seit Felix Magath bei der SGE keine Mannschaft mehr so rangenommen worden – mit dem wesentlichen Unterschied, dass man heute auf dem aktuellsten Wissensstand trainiert. Trainingsmuffel werden aktuell bei der SGE sicher nicht glücklich. Damit gehören Ereignisse wie die berühmte 86. Minute der Vergangenheit hat. Diese Mannschaft kann bis zur letzten Spielminute rennen und ackern. Steckt sogar eine englische Woche locker weg (ProTipp: Ja, genau so etwas braucht man für Europa). Spieler, die erst kurz vor knapp kamen wie Kevin-Prince Boateng, haben ihren Fitness-Rückstand mittlerweile aufgeholt.
Hervorragend hier auch, dass Niko Kovac genau im Blick hat, wann er die Zügel anziehen und wann er sie locker lassen muss.
Feste Grundordnung und taktische Flexibilität
Manch einer glaubte zu Beginn, die Eintracht könne unter Niko Kovac nur Defensive und Kampf. Falsch. Der Trainer passt seine Strategien stets dem aktuellen Stand der Mannschaft sowie dem Gegner an. Zu Beginn der Rückrunde 2016/2017 kam eine offensivere Ausrichtung – gerade auch im Zusammenhang mit Verletzungen und Abgängen – leider zu früh. Mittlerweile kann die Eintracht auch offensiv.
Für mich Balljungen sieht es so aus, dass die defensive Grundordnung aus einer 3er (bei Ballbesitz/Angriff) bzw. 5er Kette (bei Verteidigung) besteht. Die Außenverteidiger stehen hoch. Seit unsere Außenbahnen extrem stark und schnell besetzt sind – aktuell links mit Chandler/Rebic und rechts mit Da Costa/Wolf – läuft unser Spiel mehr darüber. Vorher schien offensiv eher der Weg durch die Mitte präferiert zu werden (Boateng/Gacinovic). Seit Mascarell spielen kann, ist Boateng wieder offensiver unterwegs, was sich nicht zuletzt in der Entwicklung seiner Treffer niederschlägt (aktuell 5, gleich zwei aus den letzten vier Ligaspielen). Mehr dazu kann man bei den 11Freunden lesen, auch wenn es hier nur um die Rückrunde geht.
Das Team hinter dem Team
Niemals vergessen werden darf das Team hinter dem Team, ein Job, um den sich primär Fredi Bobic kümmert. Wer einfach mal hier beim Kicker schaut oder hier bei TM, findet beispielsweise: Sportdirektor: Bruno Hübner. Teammanager: Christoph Preuß. Technischer Direktor: Marco Pezzaiuoli. Chefscout und Kaderplaner: Ben Manga. Vereinsärzte: Dr. Christoph Seeger, Dr. Wulf Schwietzer. Physiotherapeuten: Maik Liesbrock, Thomas Stubner, Koichi Kurokawa. Osteopath: Thorsten Ammann. Athletiktrainer: Klaus Luisser, Martin Spohrer. Co-Trainer: Robert Kovac, Armin Reutershahn. Torwarttrainer: Manfred Petz.
Allein die Athletiktrainer und Physios dürften einen wesentlichen Anteil daran haben, dass die SGE bislang weitgehend von Verletzungen ohne Fremdeinwirkung verschont bleibt bzw. Spieler auch wieder relativ schnell zur Verfügung stehen. Oder die Scoutingabteilung, wo mittlerweile u.a. Michael Provaznik, Daniel Hertwig, Matthias Hamann und Helena Costa für eine Qualität sorgen, die in dieser Form vorher bei der SGE nicht vorhanden war. Mit Marco Pezzaiuoli wird nun auch endlich die Qualität der Verzahnung zwischen Profiabteilung und Jugendbereich verbessert. Ein Verein, ein Konzept. Rockt.
Die Kür unter Niko Kovac
Mit all dem, was ich unter Pflicht einsortiert habe, ist ein sicherer Tabellenplatz in der Mitte der Liga möglich – so wie es bei Augsburg und Hannover der Fall ist. Aktuell steht die Eintracht aber auf Platz 3. Insofern gibt es weitere Faktoren, die dies beeinflussen.
Kaderbreite, Stärke und Rotation
Aus dem Einbruch in der Rückrunde der letzten Saison hat man gelernt: Der Kader ist breit genug aufgestellt, um Verletzungen zu kompensieren. Im Vorfeld ebenfalls von manchen angezweifelt, machte diese Entscheidung Sinn. Dass man nun allerdings weniger mit Verletzungen zu kämpfen hat, sorgt für Luxusprobleme. Der Kader ist so stark, dass selbst gute oder sehr gute Bundesligaspieler auf der Bank oder gar der Tribüne Platz nehmen müssen. Der Trainer versucht deshalb eine möglichst optimale Balance zwischen Rotation und bestmöglicher Qualität auf dem Platz. Zuweilen überrascht er alle mit seinen Aufstellungen – allem voran die geniale Lösung des Luxusproblems auf der rechten Außenbahn: Plötzlich durfte Chandler auf LV seine Qualitäten zeigen, da Costa wurde auf RV nominiert und Wolf seine Stärken als RA ausspielen. Also drei Spieler, die an sich als Rechtsverteidiger gelten. Was ein Move!
Damit man bei Niko Kovac allerdings eine Chance erhält, muss man deutlich Qualität beweisen und im Falle eines Einsatzes die Chance nutzen. Egal, ob Blum, Stendera oder Fabian: Auch wenn jeder dieser Spieler klasse Qualitäten hat, so nutzten sie ihre Chancen nicht zu 100% überzeugend. Und der Trainer möchte, bei aller Wertschätzung für jeden seiner Spieler, auch die bestmögliche Mannschaft auf den Platz schicken. Dazu weiter unten mehr.
Arbeitsethos und Demut
Die absolute Grundtugend, die Niko Kovac ebenfalls von Anbeginn an vermittelte, ist sein unglaublicher Arbeitsethos und seine Demut angesichts der Unwägbarkeiten des Schicksals. Ich hätte dies sicher weiter oben unter „Mannschaftliche Geschlossenheit“ bzw. „Einsatz und Leidenschaft“ einordnen können. Aber es ist einen eigenen Punkt wert, da es zum einen die Grundlage für diese genannten Punkte bildet und andererseits gerade jetzt an Bedeutung gewinnt. Man hat gesehen, wie dem Erfolg ein Absturz gegen Augsburg folgte. Einerseits wegen den Qualitäten des Gegners, aber eben auch weil die Einstellung der Spieler zu lax wurde. Ich habe in den Pressekonferenzen mit Niko Kovac kaum Aussagen öfter gehört als das Wort „Demut“ bzw. den Satz: „Wir müssen demütig bleiben“.
Zu seinem Ethos gehört für mich auch das Vertrauen in ein gegebenes Wort. Insofern habe ich auch keine Bedenken, dass Niko Kovac seinen Vertrag nicht erfüllen und nach dieser Saison wechseln könnte. In einer Fußballwelt, in der Spieler ihren Weggang von einem Verein mit allen möglichen Mitteln erpressen, ist so etwas nicht mehr normal. Und ich glaube Niko Kovac – genau wie seinem Kollegen Christian Streich – dass er jedes Wort ehrlich meint. Respekt!
Der Wille zum Erfolg
Es war zu Beginn seiner Amtszeit viel vom „Balkan-Gen“ oder „Kovac-Gen“ die Rede. Fakt ist: Bei aller Demut möchte Niko Kovac auch etwas erreichen. Er will gewinnen. Am liebsten jedes Spiel. Diesem Willen zum Erfolg wird im Profi-Fußball vielleicht nicht wirklich alles, aber doch sehr vieles untergeordnet. Und genau deshalb wäre Niko Kovac auch ein Trainer für die Bayern, denn er hat das berühmte „Bayern-Gen“ samt Stallgeruch, das eben auch die Sieger-DNA enthält.
Individuelle Förderung
Ein weiterer Punkt, der in der Rückrunde an Bedeutung gewonnen hat (unter anderen Punkte eingeordnet werden könnte, aber einen eigenen verdient hat): Niko Kovac macht Spieler besser. Paradebeispiel ist Marius Wolf, der Shootingstar der Eintracht, von der Aussortierung in die Regionalliga Nord bei Hannover 96 zur Stammkraft eines Bundesliga-TopClubs. Oder der Prince, der hier so spielt, wie es auf Schalke nicht funktioniert hat. Und genau dies ist im Kontext mit dem Thema „Mannschaft“ ein Grund, warum die Spieler der Eintracht aufgrund des Erfolgs bei finanzstarken Clubs immer begehrter werden, aber woanders nicht unbedingt so erfolgreich sein müssen. Es ist dieses Gesamtwerk Eintracht, das von den aktuellen Verantwortlichen geschaffen wurde, wo jeder glänzen kann. Aber wie würde ein Ante Rebic woanders funktionieren, ohne einen Niko Kovac, der genau das richtige Maß zwischen fördern und fordern findet? Wie ein Marius Wolf ohne seinen Mentor Prince? Ja, wie gut könnte ein Niko Kocac in einem anderen Verein arbeiten, ohne seinen kongenialen Partner Fredi Bobic, ohne das relativ entspannte Arbeiten, das ihm hier in Frankfurt möglich ist? Wo er Teil einer neuen Erfolgsgeschichte ist und zur Eintracht-Legende werden kann?
Wie geht es weiter bei Eintracht Frankfurt?
Wie der Chef sagt: Die nächsten vier Spiele abwarten, dann lässt sich erst eine wirkliche Prognose abgeben. Stuttgart (A), Hannover (H), Dortmund (A), Mainz (H). In einem Monat wissen wir, wo die Reise in dieser Saison wirklich hingeht. Hauptsache, kein zweites Augsburg. Das muss die Mannschaft verinnerlicht haben, auch wenn die Gefahr nach dem Sieg gegen RBL und dem dritten Platz hoch ist, dass man den Fokus verlieren könnte.
Eine Qualifikation für Europa wär super, die aktuell gar denkbare Champions League ein Kracher. Wenn man sich das als Eintracht-Fan vorstellt, kriegt man Gänsehaut. Die Gruppenphase mitmachen und danach meinetwegen Europa League weiterspielen. Träumen ist bekanntlich erlaubt. Mein zweiter Wunsch: Im DFB-Pokal Schalke schlagen und dann ab nach Berlin, am liebsten gegen Leverkusen. Zumal die SGE bislang zeigt, dass sie mit einer Doppelbelastung überhaupt kein Problem hat. Und nein, wir wären kein OneHit-Wonder wie zuletzt Köln. Egal ob Mehrfachbelastung oder sonstwas: Die Macher haben einen Plan. Und der sieht meiner Meinung nach vor, dass die Eintracht ab kommender, spätestens übernächster Saison fit ist für Europa. Und die zusätzlichen Einnahmen, vor allem aus der aktuell noch nicht mal utopisch wirkenden CL, kämen hier sicher recht. Abgesehen von der Außenwirkung undundund.
Weitere Wünsche: Möglichst früh mit den Kovac-Brüdern und Leistungsträgern wie Wolf verlängern. Für die kommende Saison: Endlich den „bezahlten Urlauber“ Regäsel loswerden. Ordóñez wird hoffentlich ganz verkauft, Besuschkow könnte noch ein Jahr in Kiel inkl. Vorbereitung gut tun. Vom aktuellen Kader dann de Guzman abgeben, vielleicht auch Hrgota, Tawatha und Blum. Ein paar Spieler verleihen, die bei uns aktuell zu wenig Spielpraxis bekommen – dies könnte Stendera, Barkok und Bätge treffen. Bei Kamada und Kavar würde dies auch Sinn machen, aber diese Spieler sollen bislang vor Ort aufgebaut werden. Und vermutlich neigt sich auch die Zeit von Alex Meier Fußballgott bei der SGE ihrem Ende – zumindest als aktiver Spieler.
Neuzugänge: Eine starke Nummer 1 – ob Hradecky es sich angesichts des Erfolgs nochmal überlegt oder eben eine neue Nummer 1 kommt, mein Favorit wäre Frederik Rönnow von Bröndby IF. Zimmermann als Nr. 3 und ein ambitionierter Nachwuchstorwart wie Bartlomiej Dragowski als Nr. 2. Dazu gern ein schneller IV mit Qualitäten in der Spieleröffnung – sei es dass sich im Fall Jesus Vallejo etwas tun oder ein vergleichbarer Spieler geholt würde. Dazu jemand fürs DM, ebenfalls mit den bekannten Stärken in Sachen Schnelligkeit und Spieleröffnung. Abhraham, Hasebe und Russ sind immer noch extrem wichtige Spieler, aber 2018/2019 wird vielleicht ihre letzte Saison auf diesem Niveau – in dieser Zeit müssen neue Spieler herangeführt werden. Und dann ist da noch der Fall Mascarell, wo es perfekt wäre, Real die Rückkaufoption abzuhandeln und längerfristig zu verlängern.
Eines kann man jedenfalls jetzt schon sagen: Die Diva vom Main ist unter Niko Kovac Geschichte. Hoffentlich auch die „graue Maus“ von Heribert Bruchhagen. Nach vielen Jahren „Kall mei Droppe“ hat man als Eintracht-Fan endlich wieder Spaß. Oder, inspiriert vom Kollege Thomas Poppe: Was ist das für 1 1tracht vong Geilheit her? Ich drück jedenfalls alle Daumen, dass die aktuelle Entwicklung genial weitergeht.
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